Werni vom BaggerseeFrüher bin ich mit dem Corsa gekommen, ganz einfach war das von Ehningen Achalm hierherzukommen.  Nun bin ich älter geworden und fahre nicht mehr Auto. Mein Weg ist zuerst per Bus, dann mit den Zug, dann wieder Bus und zuletzt laufe ich von Hirschau an den See. Das ist eine Tagesaktion, manchmal auch bei schlechtem Wetter. Weil:

Die Sehnsucht zum See ist wetterunabhängig!

Früher kam ich wöchentlich zwei bis dreimal , jetzt komme ich einen Tag pro Woche – seit 8 Jahren. Vorher war ich an einem anderen Baggersee, aber die Leute haben mir nicht gefallen und außerdem wurden Parkgebühren von 6 Euro abverlangt. Das Niveau dort hat mir nicht gefallen, also habe ich einen anderen gesucht. Der Zufall führte mich nach Hirschau an diesen See.

Meine Partnerin will nicht mit hierherkommen. Das hat auch einen Vorteil – man trifft hier nette Leute, kann Unterhaltungen führen und erfährt Neuigkeiten, die es nicht in den Nachrichten gibt.

 

Ich heiße Werner. Meine Baggerseefreunde nennen mich zärtlich Werni. Trotz meiner 74 Jahre bin ich einfach der Werni. - Das ist auch vom Aussehen abhängig: einmal kam ich mit kurzen Haaren – da wurde ich plötzlich der Werner. Oh, da habe ich mir schnell die Haare wieder wachsen lassen.

Wir haben hektische Zeiten. Ich suchte eine Phase der Ruhe und die fand ich hier. Hier spürt man Natur pur. Wenn du lange genug hier liegst, wirst du zu einem Teil der Natur. Das ist anders als in der Großstadt.

Vor 8 Jahren kam ich also und habe ich auch ein gutes Plätzchen gefunden, aber es störte mich, dass alle Leute, die um mich am See saßen, auf dem Boden hockten. Sie hatten Unmengen von Essen dabei, ganze Mahlzeiten, wenn sie doch bloß ein Bänkchen oder einen Tisch gehabt hätten, das wäre trotz Natur ein Teil der Zivilisation.

Ich wollte den Leuten mitteilen, dass ich hierzu eine Idee aber es waren Aussteiger, Akademiker, Büroleute und auch Handwerker waren dabei, aber sie hatten keine Lust zum Arbeiten, das war also chancenlos.
Wenn ich was ändern will, dachte ich mir, dann in Eigenregie.

So kam es, dass eines Tages plötzlich Tisch und Bänke an einer Stelle vorhanden waren.
Ich hörte Unmut, dass dies leider nur an einer Stelle vorhanden sei.
So kam die Entwicklung, dass auch an anderer Stelle eine Bank auftauchte.

Der Tisch wird gut angenommen. Auch im Winter bietet er Halt für Radfahrer, es kommen Behinderte und Ältere hier her.

Bei der Seeputzete war der Tisch die Zentrale, die Kuchen, die meine Frau für das gemeinsame Reinigen des Sees gebacken hatte und die mitgebrachten Thermoskannen voll Kaffee wurden dort auf dem Tisch abgestellt und die HelferInnen kamen in der Pause hier her und haben sich verköstigt. Herr Latus, der Ortsvorsteher, war am Anfang skeptische eingestellt, aber bei  der Reinigungsaktion hat er die Installation der Bänke und des Tisches für gut geheißen.

Ich habe Kindheits- und Jugenderinnerungen. Viele mokieren sich über FKK, aber wenn ich an meine Jugend denke, so im Alter zwischen 12 und 15 Jahren, liefern wir gemeinsam ins Kino von einem Ort zum anderen und kamen an einem See vorbei – schnell zogen wir die Kleider runter und schwammen nackt und stiegen wieder aus – ohne uns zu genieren.
Um das wieder zu erleben, habe ich auch im Alter wieder einen See gesucht – und gefunden.

Hmmm – zu den Veränderungen seit dem Umbau möchte ich lieber nichts sagen, sonst würde ich ausholen und wahrscheinlich etwas Negatives äußern.

Ob ich weitere Veränderungen wünsche? Am besten ist, man belässt den See so wie er momentan ist. Bei der Gestaltung des Sees sollte sich am besten die Kommune heraushalten. Viele Bürger und Ortsvertreter versuchen mitzugestalten, aber sie haben gar keinen Bezug zum See.

Bei den Seegras-Reinigungen war ich jedesmal dabei. Ich habe mir aber vorgenommen, nicht mitzuarbeiten, sondern für das leibliche Wohl zu sorgen. Zwei Blech Kuchen und drei Thermoskannen voll Kaffee habe ich mitgebracht. Die jungen Leute haben mehr Power als ich. Durch meine Behinderung darf ich nicht mehr extrem arbeiten.

Bezüglich der Bürgerinitiative würde ich sagen: von meinem Naturell her lehne ich Bürgerversammlungen ab. Man macht sich heiß und diskutiert. Es kommt nichts dabei heraus. Die Volksvertreter müssen sich kundig machen und entscheiden.

Ich wünsche mir, dass am See unter den Erholungssuchenden ein gutes Verhältnis vorliegt und nicht, wie in letzter Zeit geschehen, ein Denunziant einen anderen Menschen von hier bei der Polizei grundlos anschwärzt.

Wie ich das Interview fand? So ein Interview hat einen Vorteil, nämlich dass Insider zu Wort kommen.
Durch die Fragen, die Du mir gestellt hast, kam die Erinnerung der letzten 8 Jahre wieder in mir hoch über all das Geschehen am Baggersee.

Zum Thema Website kann ich nichts sagen, denn mit diesem Thema kann ich wenig anfangen. Ich bin in der Lage zu telefonieren, die Handybenutzung habe ich aufgegeben.

Ob ich noch etwas zu sagen habe? Nein, das war`s.  BASTA!

 



…. so gesprochen und  setzte sich zu den anderen am Tisch am See….




„Weiter, schreib!“ – Ich bin baff. Solche ein Interview habe ich noch nie in meinem Leben geführt.
Die Sätze erreichen gesprochen mein Ohr, in fertiger, klarer, eindeutiger Form. Und was mich am meisten beeindruckt daran ist: in voller Klarheit, überlegt, durchdacht, kompakt, bewußt.
Die Sätze ziehen zu mir, langsam, mit kurzen Denkpausen, fast kann ich alle Worte von Hand getreu mitschreiben.

Wir sitzen am See, auf der Wiese, auf dem Boden. Vor mir sitzt Werni im Schneidersitz mit seinen weißen Haaren und liebevollen, wachen, hellblauen Augen auf seinem kleinen Handtuch.

Er ist rundlich geworden und die kurzen Haare sind Anlass für mehrere Unterbrechungen von SeebesucherInnen, die ihn freundlich stürmisch begrüßen. Eine Frau um die Dreißig kommt mit ihrem Fahrrad an, streichelt ihm sogar über das im Nacken lang gebliebene Haar , lacht. Werne entgegnet kurz die Begrüßung mit der Streichelaktion und konzentriert sich: „Wo waren wir stehen geblieben? Lies bitte meinen letzten Satz, den ich gesagt habe!“

Wow- Dikatat. Ich lache: Werni, mit dir ist es wie beim Arzt. [Ich war ja mal in der Uniklinik als Sekretärin/Schreibkraft angestellt…]

Er horcht seinen Satz: „Ja, so stimmt das. Weiter geht es, Christine!“.

Keine 5 Meter neben uns stehen fest im Boden verankerte, massive Holzbänke um einen ebenso massiven Tisch, ganz nahe am Ufer, mit freiem Blick über die volle Länge des Sees. Ein großer Baum   darüber spendet Schatten. Heute ist einer der letzten sonnigen brillianten Tage dieser Sommersaison. Klare Farben lassen die schöne Aussicht erstrahlen und in der näheren Umgebung gibt es heute am frühen Mittag überall ein „Hallo“ zu hören. Am Tisch wird geplaudert, gegessen, ein Kommen und Gehen von einiger umgibt ihn, andere bleiben fast den ganzen Tag an ihm sitzen.

Einige spitzen ihre Ohren, um ein paar von Wernis Sätzen zu erhaschen… Interview-Situation, das gab es hier noch nicht. Werni sagt etwas zum Tisch…. Zum See…. Zwischenrufe klingen herüber. Sie ziehen vorbei. Werni  ist ganz bei  der Sache.

Als er alle Fragen beantwortet hat, setzt sich Geli zu uns auf dem Boden dazu. Sie fand die Idee, Interviews zu führen, gut und bestätigte mein Vorhaben vor ein paar Tagen. Nun sitzen wir im Kreis und Werni sagt: „Lies mir jetzt bitte alles nocheinmal vor!“ Er lauscht, nickt, korrigiert an einer Stelle. „So ist es gut.“ – „Werni, fehlt noch etwas, was du sagen möchtest?“ ---
„Nein, nichts. ---  BASTA.“ – lacht, erhebt sich und geht zu den Badenden am Tisch.

Dann hält er inne, lächelt verschmitzt und sagt: „Weißt du, was mich inspiriert hat so zu erzählen? „ – Er deutet auf Geli. „Die schöne Dame, auf die ich geschaut habe.“





Wow, das war mein erstes Interview am Baggersee. Werner, deine Sätze, deine Worte, deine Offenheit und persönliche Geschichte sind ein GESCHENK. Dankeschön! Danke für dein Vertrauen.
Erstellt am 14.08.2016, gemäß Diktat.

 

Weri und Christine