Udo mit PosthornschneckeIch gehe auf ihn zu. Zielgenau. Ich wage es. Mut. Der Mann sitzt seit Jahren hier und es ist offensichtlich, er will nicht gestört werden. Doch gerade ER gehört auch dazu, denke ich.

„Hallo, darf ich ein Interview machen. Ich führe die Baggerseeseite und die neue Rubrik heißt: die guten Geister vom See!“
O.k. es ist raus. Was wird er jetzt sagen. Vielleicht: das interessiert mich nicht. Lass mich in Ruhe, ich will kein Interview geben, was soll der Quatsch. - Göttin, was man sich halt so aus Angst eben ausmalt.

Aber er lacht, macht es sich im Stuhl bequem und ich laufe und hole mein Handtuch, um neben ihm auf dem Boden Platz zu nehme und ihm meine Fragen nacheinander von meinem Blatt Papier vorzutragen. Er will sie direkt beantworten. Nun denn.


"Ich komme mit dem Auto - noch nicht mit dem Rollstuhl." Udo lacht. "Aber wer weiss,“,sinniert er weiter, „es kann schneller gehen als man denkt."

Udo sitzt auf seinem Stuhl an einer versteckten Ecke des Sees.

„Ich komme immer, immer wenn es schön ist - das ist relativ oft.“

Nett gesagt, außer bei Regenwetter oder dichten breiten Schattenwolken ist Udo IMMER da. Wie eines der hier lebenden Entchen.

„Seit ungefähr 25 Jahren komme ich. Ich war früher viel am Oberen See, dem Bischofsee, bis er dann geschlossen wurde. - Als Kind war ich nicht hier, da kannte ich keinen der Seen.

Ich heiße Udo, bin 58 Jahre alt und komme aus Rottenburg. Ja, das darfst du gerne schreiben. Ich komme alleine, weil meine Partnerin nicht mit möchte.

Was ich hier suche?   R u h e.  E n t s p a n n u n g.  A b k ü h l u n g.  L e s e n.  Sport geht nicht mehr.“

Sagt er kurz und bedacht. Ich sehe ihn seit Jahren, er sitzt stundenlang auf seinem Stuhl, frontal zur Sonne, selbst im Hochsommer. Immer. Dunkelbraungebrannt. Alleine. So will er es haben, das sieht jeder von weitem.

„Du fragst, was mich hier stört? Die Gaffer stören mich, diejenigen, die Nackte nicht leiden können. Sie kommen extra um sich künstlich aufzuregen. Sie laufen auf dem Weg und schimpfen extra laut: ‚Guck die an, die nix schaffen‘  .... und .... und ....  sie sagen noch viel Krasseres. Sie sagen es so, dass man es hören soll. Es soll ja weh tun!“

Na, wo Udo doch so versteckt am Schilf sitzt, dass man gar nicht merkt, ob er noch etwas Kleidung anhat oder nicht, denke ich mir.

„Ich wußte lange nicht, dass es diesen See gibt, man sieht ihn ja nicht direkt. Die Welt war früher da oben am Bischofsee für mich zu Ende.

Wie mir die Veränderungen / Umbauten am See gefallen? In meinen Augen haben sie [die Verwaltung, die Stadt, das Tiefbauamt] nicht viel gemacht. Sie haben die dämlichen Gräben im Schilf gezogen. 
Und an der großen Wiese am Nordufer, also an der Landzunge, haben sie etwas geändert. Die Wiese wurde wohl vergrößert. Aber bis dahin am See gehe ich gar nie rauf. Hier wo ich sitze wurde kaum etwas verändert. Ich finde, die Auseinandersetzungen damals waren ' viel Gedöns um nix '.

Gescheiter wäre es gewesen, das Geld für das Entfernen der Algen und des Wassergrases zu verwenden, denn irgendwann kippt der See mal um und dann wird es teuer. Als Laie gesprochen würde ich folgendes wünschen: das THW solle kommen mit zwei Booten und dann Leinen legen und die Wasserpflanzen abraspeln und abfischen.
Eine dringliche Sache ist das mit diesem Tausendblatt! Eine dringliche Sache …

Was ich mir wünsche? Dass man den See der Natur überlässt und nicht weiter eingreift. Ich finde es schön, dass die Natur wächst und z.B. auf der ehemaligen Schlammbank inzwischen alles dicht mit Schilf bewachsen ist.“

Er meint am Nordufer die ehemalige Sandbank, wo früher auch gerne Familien mit Kindern im Wasser und Schlamm waren.

„Der Eingriff des Menschen ist meist nicht von Vorteil.

Bei den Entkrautungsaktionen, die hier organisiert wurden, war ich nie dabei. Nein. Meine Gelenke sind kaputt. Bei der Bürgerinitiative war ich auch nicht mit dabei, die Themen sind mir eigentlich nicht bekannt.

Am wichtigsten ist mir: keine Veränderungen am See und in Ruhe gelassen zu werden!“

„Ja, wie ist dann Für Dich dieses Interview zu führen“, frage ich ihn direkt.

Er lacht laut und freundlich. „Das Interview ist am Rande des E r t r ä g l i c h e n !!!

Ich liebe die Ruhe. Ich höre Vogelgezwitscher, höre den Wind rauschen und brauche kein Kindergeschrei.“

„Ich habe schon einmal Naturbestimmungsbücher bei Dir gesehen.“

„Ja, ja. Ich bin ein Naturkind, das ist meine große Leidenschaft.“

„Wie ich die Idee der Reportagen finde? Ja,  hm… w e n   interessiert sowas?“

Ich stammle. „Na ja, es ist ein Selbstzweck, man nimmt sich gegenseitig mehr wahr. Wir und unsere Geschichten sind eine Art Spiegel des Sees.... Manche Besucher sterben einfach weg, ohne etwas von sich zu interlassen.“

Nun frage ich gemäß meines Fragenzettels weiter: „Hast du ein Motto oder willst du den Besuchern des Sees und den Lesern ein Motto mitgeben?“

Er lächelt entspannt, lauscht in sich rein, schaut über den gleißenden See in dieser strahlenden Märzen-Sonne und sagt:

„A C H T E    D I E    N A T U R !  - Ja, achte die Natur !!!“

Und er, der Wortkarge, spricht weiter:

„Eigentlich müssten wir die Tiere fragen, ob sie uns dulden. Ich versuche ins Wasser zu gehen und mich darin abzukühlen, ohne die Frösche, die hier am Ufer kauern, zu stören. Diese Tiere haben keine Lobby und keine Kraft, sich zu wehren. Hier schau, da graben die Wildbienen.“

Zur nächsten Frage:
„Die Baggersee-Website kenne ich nicht. Im Internet mache ich kaum etwas.“

„Darf ich ein Foto von Dir machen für den Artikel, Udo?“

Er lacht. „Ein Foto von mir? Da lege ich keinen Wert drauf.“

Uff, ich stammle innerlich. Schade, Geschichten ohne Fotos, das ist doch nix, null Anregung die Website aufzusuchen, denke ich.

„Vielleicht mache ich ein Foto von der Natur hier, gibt es etwas, was du besonders magst? Eine landschaftliche Ecke? Etwas das symbolisch für Dich steht“, fällt mir als Ausweg ein.

„Ja, hier, guck. Da sitzt der Frosch zwischen den Schilfhalmen direkt am Ufer. Der kennt mich schon, wenn ich an ihm vorbeigehe, bleibt er sitzen. Auch die Libellen kennen mich schon, sie kommen zu mehreren....“

 

Frosch am UferEr steht auf und deutet auf das undefinierbare Braun von Blättern, Erde und Uferwasser. Ich dappe mit dem Foto herum, bemüht, den Frosch zu erkennen und dann ja keinen Schatten auf ihn zu werfen. Ja soooo, etwas zoomen, das könnte ein schönes Foto werden... klick....

In diesem Moment tritt ein Herr mit weißem Bart vom Weg zu uns ins lockere Gebüsch hinab. Zielstrebig. Erwartungsvoll:  „Was gibt es hier Besonderes? Ich habe Sie ein Foto machen sehen. Ich bin vom Fischerei-Verein und freue mich über alles Besondere, was es hier gibt?“

„Ähm, nichts Besonderes“ sage ich spontan, aber denke neu nach und korrigiere schnell: „Doch natürlich! Wir haben diesen kleinen schwarzen Frosch fotografiert. Er ist heute der Star des Tages – etwas ganz Besonderes!“

„Toll, Toll!“ Drei gucken, drei  lachen.

„Ich übe mich darin, so vorsichtig ins Wasser zu schleichen, dass der Frosch sich nicht gestört fühlt und sitzen bleibt“, erläutert Udo noch einmal, lacht und meint es ganz ernst.
Der See-Eingang ist an dieser Stelle sehr schmal, vielleicht einen Meter breit.

Dort sitzt Udo immer alleine. Seit Jahren. Eigentlich unterhält er sich mit niemanden. Zumindest nicht mit Menschen.

 


 

Foto oben: Posthorschnecke in Udos Hand
Foto unten: Udos Frosch am Ufer

Danke Udo, deine Sein hat etwas von den Meditierenden in einem asiatischen Kloster. Dort üben sich die Teilnehmer, so vorsichtig durch die Gärten zu gehen, dass sie kein Lebewesen zertreten. Sie sind eine Bereicherung für die Welt und werden in ihren Kulturen / Ländern hoch geachtet.

März 2017