Ich komme an den See zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Motorrad, per Pkw oder dem LKW – und dies so oft es geht! Im Sommer sogar täglich. Ohne Hund. Seit 1973.
Jeder, der mich treffen will kommt an den See.
Ich bin 56 Jahre alt, habe 3 Kinder und wohne in Tübingen, d.h. nur 7 Motorradminuten vom See entfernt. Von Beruf bin ich Unternehmer.
Hier finde ich meist Ruhe und Entspannung. Hier habe ich schöne Naturerlebnisse und im Sommer das Badevergnügen auf der Luftmatratze.
Dieter – oder – „Interview doch mal die Spanner“
Über Wegseher , Müllbringer und frühere Zeiten
Hast Du Kindheits- oder Jugenderinnerungen an den See?
Ja. Früher war noch nichts zugewachsen. Im Sommer war es staubig und nach dem Regen schmutzig. Die Handtücher waren dadurch oft dreckig.
Es gab viel weniger Besucher. Die meisten gingen ja an den Bischoff-See nach Rottenburg. Man fuhr mit dem Auto direkt ans Wasser. Und dann gab`s volle Pulle Musik. Meistens Radio: SWF 3 Pop Shop mit Frank Lauffenberg oder illegale Sender wie Radio Rock‘ n Roll. Casettenrecorder gab es ja erst ab 1978 zu kaufen. Mono natürlich!
Die Straßenreinigung putzte die Kehrmaschine direkt am See mit Seewasser.
Direkt daneben war das sehr beliebte Schlammbad.
Der Schlamm wurde als Sonnenschutz verwendet.
Bei der Firma Epple gab es einen Getränkeautomaten. Überhaupt waren die Arbeiter vom Epple zu uns sehr nett. Besonders die nackten Besucherinnen lösten viel Freude aus!
Ausländer-Anteil maximal 0,5 Prozent.
Übernachtungen oder Campieren auch wochenlang kein Problem.
An Sommerwochenenden brannten bis zu 15 Feuer. Das hat immer dazugehört. Bei Regen und Gewitter ging es dann in den großen Betonrohren beim Kemmler weiter.
Wenn der Neckar abgelassen war, sind wir mit den Lumas [Luftmatratzen] den See hoch und den wilden Neckar mit seinen Kiesbänken wieder runter gepaddelt.
Spanner und Polizei gab es keine. Die wären auch sofort ins Wasser geflogen.
Einmal hat die Polizei Mofaschildernummern aufgeschrieben. Wir ließen dafür parallel alle Luft aus dem Polizei-VW-Variant. Damals hatte die Polizei einen eigenen Abschleppwagen.
Erst 1977 wurde der Anbau von Marihuana(auch hier direkt am See) verboten. Den Rest kann man sich ja denken!
Nach dem See gingen wir, wenn wir Kohle hatten, beim Kratzer zum Wurstsalat und Mostprogramm über! Später gab‘s den Martinsberg zum Weiterschlemmen, der dann von Schloß Roßegg abgelöst wurde.
Heute einen guten ehrlichen Most finden? Fehlanzeige.
Die erste doppelte kubikstarke Luftmatratze gab‘s 1978 für 100 DM von Westfalia.
Geteerte Fahrradwege? Fehlanzeige!
Wir trampten meistens zum See. An der AOK in Tübingen standen immer 10 bis 30 Tramper .Die Tramperinnen wurden immer sofort mitgenommen und sorgten dafür, dass wir gefährlich Aussehenden auch mit einsteigen durften; oder Sie traten sogar an uns ihren Platz ab. Die Wartezeit betrug maximal 15 Minuten.
Was gefällt dir am See nicht oder was schreckt Dich ab?
Ich nehme oft etwas zum Lesen oder Schreiben mit und komme dann doch nicht dazu.
Und dann die aufdringlichen Spanner. (Nur gucken wäre ja gerade noch ok …). Besonders wenn sie sich per Internet und Handy organisiert haben und dann hauptsächlich alleinstehende Frauen belästigen. Noch schlimmer und auch gefährlich sind die pädophilen Spanner. Das ist ein absolutes No go!!!
Leider haben viele Besucher keinen Bezug zur Natur und lassen ihre Kippen, ihren Kleinmüll und manchmal auch Großmüll einfach liegen. Jugendliche, die hier ihre Alkoholerlebnisse haben, lassen dann auch gerne, wenn sie es nicht mehr blicken, einfach alles liegen.
Dann gibt es Besucher die sich darüber furchtbar aufregen, jedoch früh morgens gezielt genau diese Plätze aufsuchen, in der Hoffnung noch etwas Verwertbares zu finden. Wenigstens dafür aufräumen? – natürlich Fehlanzeige. Lieber erst noch schnell das Zelt oder den Schlafsack durch Verstecken sichern, bevor der Eigentümer daheim aus dem Koma erwacht.
Sich nur aufregen und gar nicht auf die Idee kommen mal den Müll von Anderen ohne Wenn und Aber wegzuräumen? Mal selber Initiative zeigen, eine Plastiktüte für Müll zum See mitbringen?
Auch nicht schlecht !
Die Fraktion, die von zu Hause ihren Haus Müll mitbringt und in die städtischen Container stopft.
Leute die ihre Hunde nicht im Griff haben. Hundebesitzer, die ihre Hunde frei laufen lassen, am besten über Besucherhandtücher. Denen es egal ist, wen ihr Ersatzkind den ganzen Nachmittag (an)bellt oder noch besser: alles vollscheißt.
Besucher, die sich erst mit Sonnencreme zukleistern und danach ins Wasser gehen.
Wegseher, Ignoranten! – Mal einem körperlich eingeschränkten Menschen ins Wasser helfen. Auf die Kinder der überlasteten eingeschlafenen Mutter aufpassen, usw., usw. Das wär`s!
Oder:
Einschreiten bei Belästigung.
Saufen und zum Pissen ins Wasser gehen – besonders im Hochsommer. Obwohl – nach dem 5-ten Bier eigentlich egal…
Ich bin froh über die meisten Stammgäste. Die räumen auf, geben einem Sicherheit, bauen Einstiegsmöglichkeiten usw.
Platzbesetzer, Handtuchausleger – alles ok. Aber bitte nicht übertreiben; das nervt auch gute Leute, die dann einfach nicht mehr kommen. Dies ist ein freier See.
Ich hab‘ mitgekriegt, dass ein Besucher einen anderen wegen Haschischkonsum bei der Polizei feige angezeigt hat. Ich selbst bin kein Haschischkonsument. Doch denke ich prinzipiell: Das größte Schwein im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant!
Wie findest du die Veränderungen am See seit dem Umbau durch die Stadt?
Das Aufstellen der Müllcontainer: sehr gut
Die alten Strommasten entfernen: ok
Das Anlegen vom Rundweg ist für ältere Menschen, Fahrradfahrer und natürlich auch für die Spanner recht schön.
Aber alles Andere war einfach zu teuer. Dieses ganze Geld hätte besser zum Erhalt der Wasserqualität verwendet werden sollen z.B. zum Entfernen des Tausendkrauts.
Was wünscht du dir für weitere Veränderungen?
Ich wünsche mir hauptsächlich, dass gerade NICHTS verändert wird. Noch gibt es genug Besucher mit gesundem Menschenverstand, die mit dieser Freiheit hier am See sehr gut umgehen können.
Die neu aufgestellten Verbotsschilder am Eingang sollten entfernt werden. Wenn schon Schilder sein müssen, dann etwas solche:
Liebe Baggerseebesucher: Willkommen!
Bitte ab hier den gesunden Menschenverstand einschalten
Badehose brauchen sie hier keine
Helfen sie bitte mit beim Sauberhalten des Sees
Achten sie auf andere Badebesucher, und bieten sie gegebenenfalls ihre Hilfe an
Bitte seien sie tolerant, dies ist ein freier See
Viel Spaß und eine gute Zeit am See, Ihre Stadt Tübingen!
Und nicht sinngemäß: Achtung hier ist alles, was Spaß macht verboten! Da kommt man doch gleich am Anfang schlecht drauf. Der Hammer ist, dass diese Lebensbedroher sich auf diesem Schild ungeniert öffentlich bekennen.
Übernachten am See muss wieder möglich sein. Wie kann man so etwas verbieten? Und dann sich aufregen, wenn die Jungen vor dem Computer verblöden und degenerieren!
Warst du einmal oder mehrmals bei dem Reinigen von Seegras dabei?
Natürlich.
Es war immer eine gute Aktion. Wenn jeder Besucher hier am See nur zwei drei Arme voll von dem Tausendkraut rausziehen würde, wäre dies auch kein Thema mehr. Wir haben hier manchmal über 1000 Besucher!!! Dazu noch ein paar Graskarpfen im See aussetzen. So einfach wäre die Lösung.
Das Tausendkraut könnten wir dann als Sondermüll kostenintensiv entsorgen lassen. –
Dafür sollten die Verantwortlichen bestraft werden, nein besser, zum Intelligenztraining.
Das Kraut verrottet übrigens über Winter zu gutem Humus und eignet sich hervorragend zum Uferschutz und verhindert dessen Erosion.
Bei starkem Süd-West-Wind wird das ganze Seegras auf der Oberfläche des Sees in die Nord-Ost-Ecke getrieben. Ein Herausziehen mit dem Bagger wäre schon immer problemlos möglich gewesen. Drei Baufirmen sind mittlerweile hier am See angesiedelt und könnten innerhalb von Minuten ihren Bagger an den See fahren und dort werbewirksam das Problem lösen.Warum sie das nicht machen? Tja, der untere Dienstweg ist seit des Seekaufs durch die Stadt Tübingen streng verboten. Öffentliche Ausschreibung, Verantwortungsfrage, Gewässerschutz, Angst vor Mauschelei, usw., usw. ..
Noch Fragen?
Warst du damals bei der BI dabei? Ist das Thema noch in deiner Erinnerung wichtig?
Ja, sehr präsent. Ich habe dabei viele gute Leute kennengelernt. Ein paar Vollidioten, die sich dort profilieren wollten, waren natürlich auch darunter.
Was wünscht du dir persönlich für die Zukunft am See?
Ich wünsche mir einen freien See. Zur Not als Projekt. Keine Verbotsschilder oder Überwachung durch die Polizei. Ordnung rein durch den gesunden Menschenverstand, (im Sinne der Natur und Menschen).
Hoffentlich kommen die Vögel zurück, die durch die Renaturierung vertrieben wurden.
Meine Anmerkung dazu: der letzte Eisvogel wurde durch blinden teuren Umweltschutzaktionismus und Baumaschinen vertrieben, nicht durch die Angler und Badegäste. Das ist meine feste Überzeugung. Ich wünsche mir weiterhin die gleichen toleranten Seeanlieger. Und natürlich klares, sauberes Wasser, nette Leute, gute Stimmung, kaltes Bier, positive Vibes…. Netten Besuch auf meiner kubikstarkendoppelimex Luma. (Das ist die, die sich auch bei Wind nicht bewegt, denn sie hat einen Anker ätsch!!!)
Wie findest du das Projekt der Reportagen auf der Baggersee-Website?
Genial. Das hat voll meine Unterstützung. Wenn sich sogar schon die Spanner organisieren! Dann wird es wirklich Zeit für eine Website. Befragst du bitte auch mal die Spanner?! Sie gehören ja auch zum See. Vielleicht eine falsch verstandene Randgruppe? Z.B.: Wie oft kommt es vor, dass Ihnen jemand eine scheuert? Oder: wie oft schafft man es an einem Nachmittag rund um den See herum? Sind sie organisiert? Spannen sie passiv oder aktiv? Usw, usw.
Meiner Vision eines freien, selbsverwalteten Sees kommt das entgegen.
Wie ist das Interview für dich?
Oh, es war extrem anstrengend. Hast du ein kaltes Bier?
Ich finde es geschickt, deiner Zielgruppe, den Baggerseebesuchern, über diesen Weg einige Ansichten und Infos zukommen zu lassen.
Hast Du ein Lebensmotto, das du gerne den anderen Seebesuchern mitteilen möchtest?
Ja, sogar mehrere.
Ganz simpel: Was ich nicht will, das man mir tut, das füg‘ auch keinem Anderen zu.
Oder der Gedanke vom Oberlama:
Der Mensch opfert seine Gedanken um Geld zu verdienen.
Hat er es dann endlich, muss er es wieder hergeben, um seine Gesundheit zurückzuerlangen.
Er war die ganze Zeit nur noch auf die Zukunft fixiert. Keine Zeit mehr, um die Gegenwart zu genießen. Weder Gegenwart noch Zukunft kann so gelebt werden.
Der Mensch lebt, als würde er nie sterben.
Schließlich stirbt er ohne jemals richtig gelebt zu haben,
oder:
Der frühe Vogel fängt den Wurm
oder:
Nur die zweite Maus kriegt den Käs
oder
Jedes Ding an seinen Ort, erspart viel Schimpf und böse Wort‘!
oder:
Laß du Mode Mode sei! S Hemd des ghert end Hosa nei!
oder
Nur die Faulen zwickt die Kälte, einen Fleißgen nicht!
Noch mehr?
Kennst du die Website zum Baggersee? Besuchst du sie?
Sie ist leider nicht mehr unter Bürgerinitiative Hirschauer Baggersee zu finden[ ehemals www. baggersee-hirschau.de]. Die hat der Frank Schwarzbach löschen lassen (ausgerechnet der damalige 1.Vorsitzende der BI).
Die neue Adresse ist komplizierter für Fremde zu finden. Ich besuche sie einmal im Monat.
April 2017
Danke Dieter!
Für Besucher und Unternehmenspartner sei hinzugefügt: Dieter ist zu finden auf der blauen, ausgebleichten extrabreiten Luma. Auch geschäftliche Angebote und Vereinbarungen sind hier, auf des Wassers Oberfläche, abzuschließen. Viel Erfolg!
Fotos: (c) Dieter Walcker